Verrat, Volksverhetzung, Gewalt – Christian Klar und die „dunklen Flecken“

Christian Dietrich Klar (*07.07.1980) aus Gera gehört zweifellos zu den Gewinnern der Corona-Pandemie. In einer Zeit, in der eine Krise die nächste jagt, konnte der notorisch kriminelle Neonazi Klar zur öffentlichen Person werden. Mit der Anmeldung eines Sommerfests in Gera am 26.08. und einer Versammlung am 03.10.2022 erreichte er den vorläufigen Zenit der Aufmerksamkeit. Selbst die Tagesschau berichtete über den Protest am Tag der deutschen Einheit in Gera, der bis zu 10.000 Personen auf die Straße brachte. Klar, der mit seinen Unterstützer*innen permanent Zusammenhalt predigt und sich als politisch verfolgter Wohltäter der Stadt präsentiert, ist ein vielfach vorbestrafter Opportunist, der in der Vergangenheit keine Skrupel zeigte, auch durch Verrat an seinen Mittätern den eigenen Kopf aus der Schlinge zu ziehen. Wir werfen einen Blick auf seine kriminelle Laufbahn, die seine Selbstinszenierung in einem anderen Licht erscheinen lässt.

Nazidemos, Volksverhetzung, Körperverletzung

Als Christian Klar 2020 zum wöchentlichen Besucher von Veranstaltungen gegen die Corona-Maßnahmen wurde, verfügte er bereits über eine mehr als zwanzigjährige Erfahrung in Sachen rechter Demonstrationen. Seit Ende der 90er Jahre bewegt er sich in Nazikreisen. Allein 1997, im Jahr als er seinen Realschulabschluss machte, handelte er sich zum einen mit Volksverhetzung und zum anderen wegen des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen gleich zwei einschlägige Verfahren ein. Im gleichen Jahr stellte er auch seine physische Gefährlichkeit unter Beweis: Klar beging im November 1997 eine Körperverletzung in Tateinheit mit Sachbeschädigung.

Christian Klar (links unten mit weißem Poloshirt und Jacke über der Schulter) am 04.09.1999 auf einer Demo des Thüringer Heimatschutzes und der NPD in Gera
Christian Klar (1. v.l. unten mit weißem Poloshirt und Jacke über der Schulter) am 04.09.1999 auf einer Demo des Thüringer Heimatschutzes und der NPD in Gera. [Foto: Recherche Gera]
Am 4. September 1999 nahm Klar, der inzwischen seine Lehre zum Gas- und Wasserinstallateur abgebrochen hatte, an einer Großdemonstration der NPD und des Thüringer Heimatschutzes in Gera teil. Der Thüringer Heimatschutz, daran sei erneut erinnert, war diejenige Organisation, aus deren Mitte der u.a. für 10 Morde verantwortliche Nationalsozialistische Untergrund (NSU) hervorging. Auf der gleichen Demonstration waren auch die NSU-Helfer Ralf Wohlleben, André Kapke und Tino Brandt zugegen. Außerdem anwesend war der Blood-&-Honour-Chef Thüringens, Marcel Degner aus Gera, über den wir bereits ausführlich informierten. Dass Christian Klar zum näheren Umfeld des NSU-Unterstützers Degner gehörte, beweist auch der Eintrag von Klars Telefonnummer (0172/4866xxx) in Degners handschriftlichem Telefonbuch, das man bei einer Hausdurchsuchung beschlagnahmte.
Die überregional einflussreiche Geraer Blood-&-Honour-Band Legion Ost grüßte im Booklet ihres 1996 erschienenen Albums Ohne Worte neben anderen Geraer Nazis auch „Klari“.

Legion Ost (Daniel Stärz, Raik Schumann, Jens Sattler, Jens Häfer) grüßen auf ihrem Album Ohne Worte neben “Riese” (Spitzname Marcel Degners) auch “Klari”
Legion Ost (Daniel Stärz, Raik Schumann, Jens Sattler, Jens Häfer) grüßen auf ihrem Album Ohne Worte neben „Riese“ (Spitzname Marcel Degners) auch „Klari“. [Bild: discogs]
Neben einem kleineren Delikt (Gestatten des Fahrens ohne Fahrerlaubnis) hatte Klar 1999 erneut mit den Gerichten zu tun, als er sich wegen Landfriedensbruchs und Nötigung verantworten musste.

Betrug, Diebstahl, Drogenhandel, Verrat

Auch im neuen Jahrtausend beschritt Klar weiter den eingeschlagenen Weg des kriminellen Neonazis. Allein im Jahr 2002 ließ Klar sich drei Mal beim Fahren ohne Fahrerlaubnis erwischen, was entweder von mangelnder Lernfähigkeit und Cleverness oder aber von aggressiver Ignoranz zeugen mag.
2003 fingierte Klar mithilfe mehrerer Bekannter einen Autounfall, um die Versicherungssumme zu kassieren. Wegen versuchten Betruges sollte Klar 2007 zunächst eine Freiheitsstrafe bekommen, im Berufungsprozess im Jahr 2008 wurde er dann aber zu einer Freiheitsstrafe von 6 Monaten, ausgesetzt zu 3 Jahren Bewährung verurteilt.
Ebenfalls 2003 mieteten Klar und ein Mittäter ein Fahrzeug bei einer Autovermietung in Gera, zerlegten es, um die Einzelteile gezielt an polnische Staatsangehörige zu verkaufen, und meldeten das Auto dann als gestohlen. Wegen Betrugs und Unterschlagung wurde Klar 2004 zu 6 Monaten Freiheitsstrafe verurteilt, die zu 2 Jahren Bewährung ausgesetzt wurden.
Klar wurde jedoch kurze Zeit später wieder straffällig, weswegen seine Bewährung widerrufen wurde. Klar hat die sechsmonatige Freiheitsstrafe vollständig verbüßt.

In den Jahren 2004 bis 2005 war Klar als selbstständiger Schrotthändler tätig. Die dabei erlangten Kenntnisse setzte er 2005 praktisch um: In drei Fällen von besonders schwerem Diebstahl, zwei davon begangen in Tateinheit mit Sachbeschädigung, entwendete er mehreren lokalen Betrieben Altmetall in großer Menge, um es weiterzuverkaufen – allein im April 2005 stahl er mit Unterstützung weiterer Personen 20 Tonnen Eisenbahnschienen. 2006 musste er deswegen erneut in Haft, diesmal für 2 Jahre und 9 Monate. Im Mai 2008 wurde der zu verbüßende Rest der Freiheitsstrafe zu 4 Jahren Bewährung ausgesetzt.

Nachdem er während seines letzten Gefängnisaufenthalts bereits Crystal konsumierte, dealte er 2008 mit Crystal und Haschisch, um seine Schulden zu begleichen. Als Komplize des Pößnecker Neonazis Norman Strupp versuchte Klar im September 2008, 1,5 Tonnen Kupferdraht von einer Baustelle zu stehlen. Auch wenn Klar und seine Helfer noch vor Ort gestellt wurden, überlebte die Freundschaft zu Norman Strupp. Gemeinsam besuchten Klar, dessen Partnerin Carolin Krietsch und Strupp 2018 gemeinsam eine Solidaritätsdemo für die Holocaustleugnerin Ursula Haverbeck in Bielefeld.

 Christian Klar, Norman Strupp und Carolin Krietsch (v.l.n.r.) auf einer Demonstration für Holocaustleugnerin Ursula Haverbeck am 10.05.2018 in Bielefeld.

Christian Klar, Norman Strupp und Carolin Krietsch (v.l.n.r.) auf einer Demonstration für Holocaustleugnerin Ursula Haverbeck am 10.05.2018 in Bielefeld. [Foto: Recherche Nord]
Im darauffolgenden Prozess stellte Klar seine vermeintliche Loyalität unter Beweis: Um eine Strafminderung nach §31 BtMG für sich zu erreichen, verpfiff er einen in seine Drogendeals involvierten Kollegen. Wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge und versuchten Diebstahls wurde Klar 2010 zu 2 Jahren Freiheitsstrafe verurteilt.

Profiteur der Pandemie

Seit Christian Klar wieder auf freiem Fuß ist, besucht er beständig extrem rechte Aufmärsche in der ganzen Republik. In der Vergangenheit haben wir bereits mehrfach über Klars Verstrickungen und Teilnahmen an Naziveranstaltungen berichtet (z.B. hier, hier, hier und hier).

Mit Beginn der Corona-Pandemie schloss sich Klar den stets von Rechten orchestrierten Protesten gegen die Maßnahmen zunächst als Teilnehmer an.

Christian Klar (mittig mit blauem Cap) am 02.05.2020 auf einer Demonstration gegen Corona-Maßnahmen.
Christian Klar (mittig mit blauem Cap) am 02.05.2020 auf einer Demonstration gegen Corona-Maßnahmen. [Bild: Screenshot youtube]
Die unangemeldeten und untersagten Demonstrationszüge 2021 organisierte und koordinierte Klar zunehmend selbst, was er mehrfach betonte.

Seine Rücksichtslosigkeit bewies Klar erneut im November 2021, als er das Wurmmittel Ivermectin in einer Telegram-Gruppe ohne Kenntnis der Risiken als Medikament gegen Corona-Infektionen anpries und erklärte, schon 9 Personen in seinem Umfeld mit dem rezeptpflichtigen, nicht als Covid-Medikament zugelassenen, Arzneimittel „behandelt bzw. versorgt“ zu haben.

Christian Klar gefährdet auf Telegram mit unseriösen Gesundheitstipps andere.
Christian Klar gefährdet auf Telegram mit unseriösen Gesundheitstipps andere. [Bild: Screenshot Telegram]
Am 20.06.2022 trat Christian Klar erstmals als Anmelder der Montags-Proteste auf, die inzwischen eine wilde Melange aus Reichsbürgermilieu, Putin-Freund*innen und -Apologet*innen, Impfgegner*innen und militanten Nazis versammeln. Klar nutzt die Plattform der Demos und Feste vor allem, um über sich selbst zu sprechen; die Menge jubelt dem Selbstdarsteller dafür zu. Seine Höhenflüge verleiten ihn sogar dazu, bei der Demonstration am 22.08.2022 seinen Anhänger*innen gegenüber zu behaupten, dass „es sich lohnt“, ihm „hinterherzulaufen“ und dass man das „guten und ruhigen Gewissens“ machen könne. In dieser Rede auf dem Geraer Marktplatz will er seinen montäglichen Mitläufer*innen zu seinen laufenden Verfahren „Rede und Antwort“ stehen. Ehrlich zu sein verspricht Klar seinem Publikum und redet schließlich nur noch davon, was er alles nicht getan habe. Bis zu den Dingen, die er aber getan hat, reicht der Wille zur Ehrlichkeit dann doch nicht.

„Schön, dass du mein Freund bist“

Mit Peter Schmidt erhält Christian Klar einen, der trotz allem für seine Aufrichtigkeit bürgt. Schmidt, über den alle Medien immer wieder nur zu sagen haben, er sei „Unternehmer“, als mache einen das allein zum verdienstvollen und guten Menschen, darf sich dabei ohne Probleme gewohnt weit aus dem Fenster lehnen. Bereits zu Beginn behauptet er, dass Klar „in seiner Vergangenheit möglicherweise mal Fehler gemacht hat oder auch Dinge getan hat, die nicht erlaubt sind – das hat doch mit einer politischen Bewegung rein gar nix zu tun“. Bei über zwanzig Jahren in der extrem rechten Szene und mehrfachen politisch motivierten Delikten Klars ist das eine sehr freie Interpretation von „rein gar nix zu tun“. Schmidt spricht davon, Klar sei ihm gegenüber „von Anfang an ehrlich“ gewesen, dass es in Klars Vergangenheit auch „dunklere Flecken gab“. Bei all den Straffälligkeiten Klars drängt sich jedoch die Frage auf, wo die helleren Flecken zu finden sind. Schmidt weiß es: In Christian Klars gesellschaftlichem Engagement für die Stadt – das im Wesentlichen aus Demoorganisation mit Feuerwerk und dubiosen Spendensammlungen besteht.

Schmidt betont als Reaktion auf die Aufforderung, sich von Klar zu distanzieren, dass in Deutschland immer noch die „juristische Unschuldsvermutung“ gelte. Wie ein Ertrinkender an den Rettungsring klammert sich der Unterstützer*innenkreis Klars an die Hoffnung, dass man das Gesicht trotz eindeutiger Faktenlage wahren könne. Umso absurder wird das Schauspiel, wenn man sich vor Augen führt, dass Schmidt sein pathetisches Plädoyer für die Unschuldsvermutung auf einer Veranstaltung hält, die regelmäßig von Plakaten gesäumt ist, auf denen Politiker*innen und Journalist*innen in Sträflingskleidung abgebildet sind, und denen die Hobbyjurist*innen der Montagsdemos das eigene Urteil „SCHULDIG“ aufgepinselt haben – und dass eines dieser Plakate überhaupt erst zu den Verfahren gegen Klar geführt hat.
Seinen als spontan inszenierten Beitrag beendet Peter Schmidt mit den Worten: „Den Christian, den ich seit zwei Jahren kenne… Da sage ich mit Stolz: Schön, dass du mein Freund bist.“ Die rührende Männerfreundschaft beruht nicht nur auf der gleichen Gesinnung, sondern offensichtlich auch auf dem gleichen pragmatischen Verhältnis zur Wahrheit.

Innige Freundschaftsbekundung zwischen Christian Klar (l.) und Peter Schmidt (r.), dem „Unternehmer mit Herz“ für kriminelle Neonazis, am 22.08.2022 auf dem Geraer Marktplatz.
Innige Freundschaftsbekundung zwischen Christian Klar (l.) und Peter Schmidt (r.), dem „Unternehmer mit Herz“ für kriminelle Neonazis, am 22.08.2022 auf dem Geraer Marktplatz. [Bild: Screenshot youtube]
Aktuelle Gerichtsverfahren gegen Christian Klar

Derzeit laufen zwei Gerichtsverfahren gegen Christian Klar. Das eine bezieht sich auf eine Verunglimpfung des Geraer Polizeidirektors Michael Zimmermann. Klar hat am 02.05.2022 zum „Spaziergang“ eines der „Schuldig“-Schilder mit dem Bild des Polizisten in Sträflingskleidung mitgeführt. Strafrechtlich ist das von der Meinungsfreiheit gedeckt, allerdings gibt es in diesem Zusammenhang noch ein zivilrechtliches Verfahren gegen Klar. Der konkrete Ausgang ist noch nicht gewiss.

Bemerkenswert in diesem zivilrechtlichen Verfahren ist die anwaltliche Vertretung von Christian Klar. Sein Rechtsbeistand ist der Rechtsanwalt Detlev Funke genannt Kaiser, ein Geraer Anwalt mit einem exzellenten Ruf innerhalb der extremen Rechten. Bekannte Geraer Nazis wie Jörg Krautheim empfehlen ihn ausdrücklich, beispielsweise weil er die notorische Holocaustleugnerin Ursula Haverbeck 2017 vor Gericht zu ihrer Zufriedenheit vertreten hat.

Christian Klar und sein Anwalt Detlev Funke am 31.08.2022 in Gera
Christian Klar und sein Anwalt Detlev Funke gen Kaiser am 31.08.2022 in Gera. [Bild: Screenshot youtube]
Detlev Funke gen Kaiser als Rechtsanwalt der Holocaustleugnerin Ursula Haverbeck 2017 vor Gericht
Detlev Funke gen Kaiser als Rechtsanwalt der Holocaustleugnerin Ursula Haverbeck 2017 vor Gericht. [Foto: Westfalen-Blatt]
Das andere strafrechtliche Verfahren bezieht sich auf schweren Diebstahl, Hehlerei und – na klar – Fahren ohne Führerschein. Christian Klar hat Baumaschinen von Baustellen gestohlen und diese zu verkaufen versucht. Dabei ist er zusätzlich am Steuer ohne gültigen Führerschein (den er schon eine ganze Weile nicht mehr besitzt) erwischt worden. In der Berufungsverhandlung am Geraer Landgericht wurde das erstinstanzliche Urteil gegen Klar am 28.7.2022 mit zwei Jahren und sechs Monaten Gefängnis bestätigt. Gegen dieses Verfahren hat Klar einen Antrag auf Zulassung zur Revision beim OLG Weimar eingereicht. Der aktuelle Stand des Verfahrens ist unklar. Wenn die Revision jedoch nicht zugelassen wird, ist davon auszugehen, dass Christian Klar erneut in den Knast muss.

Unter UNS – Das Netzwerk des NSU in Gera

FreundInnen, UnterstützerInnen, SympathisantInnen der nationalsozialistischen Terrorgruppe NSU leben seit Jahrzehnten unbehelligt in Gera, führen ein ungestörtes, behagliches Leben und florierende Betriebe.

Es ist wesentlich den Untersuchungsausschüssen der Länder, den Hinterbliebenen der Opfer, Recherchegruppen und unabhängigen Initiativen zu verdanken, dass die Geschichte vom NSU, der nur zu dritt gewesen sei, in die Kategorie „Deutsche Märchenerzählungen“ gehört. Damit Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt als Kerntrio über ein Jahrzehnt hinweg unentdeckt und mordend durch das Land ziehen konnten, brauchte es ein gut funktionierendes Netzwerk von UnterstützerInnen, FreundInnen und SympathisantInnen.

Gera hat in diesem Netzwerk seinen besonderen Platz: Dabei ist nicht nur die geografische Nähe etwa zu Jena und Zwickau interessant; mit bedeutenden Protagonisten der Kameradschaftsszene, der militanten Nazi-Vereinigung Blood & Honour und als Ballungsgebiet in der NS-Musiklandschaft konnte den ausführenden Organen des NSU von Gera aus besonders gut Vorschub, Unterstützung und Hilfe geleistet werden. Von hier aus konnten auch die Ideen, die dann in ihre mörderische Tat umgesetzt wurden, verbreitet werden.

10 Jahre nach der Selbstenttarnung des NSU 2011 liegt auch in Gera (noch und wieder) vieles im Dunkeln. In der Stadt, in der es für alte und neue Kameraden so gemütlich ist, ist bisher niemand ernsthaft den Spuren nachgegangen, die nicht nur sehr dicht an die mordenden Nazis führen, sondern die außerdem zum Verständnis des gesamten NSU-Komplexes beitragen können.
10 Jahre und länger konnten sich die AkteurInnen in Gera bewegen, ohne der Szene den Rücken kehren oder Stellung zu ihrer Vergangenheit beziehen zu müssen. Eine lokale journalistische Aufarbeitung hat es ebensowenig gegeben wie eine gesellschaftliche.
Um den Namen aus dem NSU-Prozess ihr Gesicht zu geben und um ein Bewusstsein dafür zu schaffen, dass die Beteiligten und UnterstützerInnen des NSU mitten unter uns sind, wollen wir eine Auswahl dieser Personen vorstellen.
Damit wollen wir einen Teil zu der Reihe an Artikeln und Recherchen beitragen, die in diesem Jahr dafür gesorgt haben, dass das Thema NSU-Komplex nicht in Vergessenheit gerät.

Marcel Degner

Der Geraer Marcel Degner (*05.05. 1975) gilt als eine der wichtigsten Personen im Aufbau des Blood & Honour-Netzwerks in Deutschland.

Thorsten Heise und Marcel Degner am 12.02.2000 auf einer Demo des THS und der NPD in Gera
Thorsten Heise und Marcel Degner (v.l.n.r.) am 12.02.2000 auf einer Demo des Thüringer Heimatschutzes und der NPD in Gera [Foto: Recherche Gera]

Seit den frühen 90er Jahren bewegte sich Degner mit dem Spitznamen „Riese“ in der Naziszene. Im Jahr 1994 organisierte Degner eine Busreise von Nazi-Skinheads zur Gedenkstätte Buchenwald, unter ihnen die Mitglieder der Geraer Band Oithanasie. Auf der Hinfahrt überfielen und verletzten die Nazis einen türkischen Verkäufer an einer Raststätte, bevor sie nach ihrer Ankunft in der Gedenkstätte randalierten.

In der darauf folgenden Zeit füllte Degner seine Polizeiakte: Ermittelt wurde gegen ihn wegen Landfriedensbruchs, Beleidigung, Verwendens und Erwerbs von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen. Bedeutung in der Szene erlangte er auch als Organisator von Nazikonzerten in Thüringen und Sachsen.
1997 nahm Degner eine entscheidende Rolle im Zusammenschluss der deutschen Blood & Honour-Vereinigung ein: er wurde zum bundesweiten Kassenwart von Blood & Honour und Leiter der Sektion Thüringen. Die Thüringer-Blood & Honour-Sektion wurde im Wesentlichen von Gera aus koordiniert. Neben Degner waren Roberto „Matzo“ Graf, Silvio „Hotte“ Jordan, Daniel „Kurti“ Porsche und Anja Burian wichtige ProtagonistInnen. Ebenfalls in Gera wurde mit der White Youth die Jugendorganisation von Blood & Honour gegründet und unter Beteiligung von Mike Bär, Sven „Zimbo“ Zimmermann und dem NS-Musiker Jens Fröhlich geführt.

Roberto “Matzo” Graf und Marcel Degner am 04.09.1999 auf einer Demo des Thüringer Heimatschutzes und der NPD
Roberto „Matzo“ Graf (1. v.l. unten) und Marcel Degner (2. v.l. mit Zigarette) am 04.09.1999 auf einer Demo des Thüringer Heimatschutzes und der NPD in Gera [Foto: Recherche Gera]

Marcel Degner organisierte am 13.11.1999 ein Blood & Honour-Konzert im thüringischen Schorba bei Jena, bei dem auch die NSU-Unterstützer Carsten Schultze und Thomas Starke anwesend waren. Degner bot bei dieser Gelegenheit Thomas Starke, dem Ex-Partner Beate Zschäpes und V-Mann für den Verfassungsschutz, mehrere tausend Euro für das untergetauchte NSU-Trio an. Starke lehnte das Angebot jedoch ab, da Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe „jobben“ würden, was de facto hieß, dass sie in dieser Zeit Banküberfälle durchführten.
Schon auf früheren Konzerten der Thüringer B&H-Sektion sammelte Degner Spendengelder für das Trio, die z.B. an André Kapke gingen. Nachdem bei den Untergetauchten in Chemnitz nichts von diesem Geld ankam, warf man Kapke vor, Geld veruntreut zu haben.

Als am 12.09.2000 durch das Bundesministerium des Innern sowohl Blood & Honour Division Deutschland als auch deren Jugendorganisation White Youth verboten wurden, stand Marcel Degner im Verbotsbescheid direkt an zweiter Stelle. Bei der Durchsuchung seiner Wohnung war Degner nicht anwesend, Verwertbares fand sich nicht.
Das ist umso frappierender als die Thüringische Landeszeitung im Mai 2001 Informationen veröffentlichte, nach denen Degner als V-Person für das Landesamt für Verfassungsschutz Thüringen tätig war und vor der Razzia im September 2000 vom Thüringer Verfassungsschutz vorgewarnt worden sei.
Im NSU-Prozess gab der ehemalige V-Mann-Führer Degners Jürgen Zweigert an, dass der als „Quelle 2100“ unter dem Tarnnamen „Hagel“ firmierende Marcel Degner zwischen 1997 und 2000 in rund 150 wöchentlichen Treffen Informationen lieferte und dafür jeweils mit 400 bis 500 DM vergütet wurde – Gelder, die Dank besonderer Auslagen des VS, etwa für Eintrittsgelder für Konzerte oder Spendengelder, auch auf direktem Wege in den Aufbau und Erhalt der militanten Naziszene flossen oder, wie im Falle der Spendensammlungen für Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe, eine mordend durch das Land ziehende Terrorvereinigung finanzierten.
Abgeschaltet wurde die „zuverlässige Quelle“ Degner dann unmittelbar vor dem Verbot von Blood & Honour 2000, offiziell wegen eigenmächtigen Vorgehens gegen das B&H-Verbot, das Degner nicht mit dem Landesamt für Verfassungsschutz abgesprochen habe.
In der Tat klagte Degner, wie auch Mike Bär, privat mit eigenem Anwalt gegen das Verbot, das Gericht wies die Klage jedoch als verspätet zurück.

Vor Gericht bestritt Degner hartnäckig, als V-Mann für das TLfV tätig gewesen zu sein, und das, obwohl er eine amtliche Aussagegenehmigung der Behörde hatte. Degners Auffassung nach seien ihm die Spitzel-Vorwürfe erst durch die Presseberichte bekannt geworden, weswegen er erfolgreich die Ostthüringer Zeitung verklagte.
Dass Degner mit seiner Version, wonach er sich mit dem TLfV nie eingelassen habe, durchkam, hatte auch damit zu tun, dass alle Treffberichte des TLfV mit „Hagel“ spätestens seit 2003 verschollen waren, wie durch einen Geheimdienstmitarbeiter bemerkt wurde.

Degners frühere Kameraden witzelten noch 2016 auf facebook über sein Image. Der Account der dereinst einflussreichen Geraer Blood & Honour-Band Legion Ost, betrieben vom Sänger Daniel Stärz, kommentierte, dass man auf der Suche nach alten Eintrittskarten und anderen Erinnerungsstücken den „V mann“ fragen könne; Silvio „Hotte“ Jordan sprang ihm bei: „Hagel hat bestimmt auch noch einiges…….“

Auf der Seite der Band Legion Ost witzeln Daniel Stärz und Silvio "Hotte" Jordan über den V-Mann "Hagel" Marcel Degner
Über den Ruf Degners können sie lachen: Legion Ost (Daniel Stärz) und Silvio „Hotte“ Jordan schwelgen in Erinnerung und witzeln 2016 über den V-Mann „Hagel“ Marcel Degner [Bild: Screenshot Facebook]

Die alte Nazi-Clique hielt den Kontakt zu Degner – dazu könnten Erklärungen beigetragen haben, wie sie etwa im Verschwörungsblog nsu-leaks verbreitet werden. Deren Erzählung zufolge wurde Degner belastet, um eine andere Quelle des Verfassungsschutzes (denkbar wären demnach etwa der Ostthüringer Nazi Thomas Gerlach oder das „Justizwunder“ Thorsten Heise) zu decken. Eine Sicht auf die Dinge, die sicher auch Degners Kameraden glaubhaft gemacht werden konnte, zumal diese in den Folgejahren nie mit ernsthaften negativen Konsequenzen konfrontiert waren.

Degner kehrte der Szene nach den V-Mann-Vorwürfen gegen ihn allerdings nicht endgültig den Rücken (auch wenn sich, seiner Aussage nach, ab 2001 einige verunsichert von ihm abwandten): 2010 tauchte seine Adresse im Hack der Nazi-Bekleidungsmarke Thor Steinar auf, dort nutze er die Mailadresse riese33@gmx.de, die er heute immer noch für die gewerbliche Kommunikation verwendet. Bis heute trägt Degner mit Vorliebe Kleidung von Thor Steinar.
Seine andauernde Verbundenheit mit Naziideologie stellt Degner auch beim Paintball-Spielen zur Schau. Seine Rückennummer auf dem Trikot des Eastside Paintball e.V. ist die 88.

Marcel Degner im Paintball-Trikot mit der Rückennummer 88 bei einem Ausflug von Mitgliedern des Sportforums Gera am 20.08.2016
Marcel Degner im Paintball-Trikot mit der Rückennummer 88 bei einem Ausflug von Mitgliedern des Sportforums Gera am 20.08.2016 [Foto: Homepage Sportforum]

Degner trainiert im Fitnessstudio Sportforum in der Reichsstraße 16 in Gera und nahm in der Vergangenheit zusammen mit anderen Mitgliedern des Studios an verschiedenen Events wie Go-Kart-Fahren oder Paintball-Spielen teil.

Marcel Degner mit seinem Go-Kart-Team Frank M. und Johannes T.
Marcel Degner mit seinem Go-Kart-Team Frank M. und Johannes T. (v.l.n.r.) [Bild: Homepage Sportforum]
Degner (2. v.r.) bei einem Paintball-Turnier im September 2018.
Degner (2. v.r.) bei einem Paintball-Turnier im September 2018 [Foto: Screenshot Facebook]

Dass Degner trotz seiner herausragenden Rolle für den Aufbau und die Organisation von Blood & Honour-Strukturen in Deutschland, trotz seiner Verstrickungen in den NSU-Komplex und trotz seines Rufs als Verfassunsgsschutzspitzel weiter in Gera unter seinem alten Namen lebt, spricht dafür, dass er einen „Neuanfang“ (wie etwa andere enttarnte Quellen des VS oder bekanntgewordene Nazis in anderen Städten) nicht nötig hatte und sich hier offenbar sicher und einigermaßen willkommen fühlt.

Marcel Degner ist derzeit mit einer Firma für Baudienstleistungen selbstständig. Degner wohnt aktuell in der Karl-Wetzel-Straße im Stadtteil Gera-Lusan.

Mike Bär

Mike Bär (*07.07.1972) aus Kauern bei Gera nahm neben Marcel Degner eine maßgebliche Rolle bei der Etablierung und Führung von Blood & Honour ein und war ein guter Bekannter des NSU-Kerntrios.

Mike Bär, Jens Fröhlich und Denis Schoner (v.l.n.r.) auf einer NPD-Demo am 10.11.2001 in Gera
Mike Bär, Jens Fröhlich und Denis Schoner (v.l.n.r.) auf einer NPD-Demo am 10.11.2001 in Gera [Foto: Recherche Gera]

Bär machte seine Ausbildung zum Fliesenleger in den Neunzigerjahren in Jena und knüpfte dort zahlreiche Kontakte in die örtliche Naziszene, insbesondere zur Kameradschaft Jena. Mit Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe war Mike Bär eng vertraut.
Nachdem in Jena 1997 eine Reihe von Bombenattrappen als Briefe versendet wurden und eine mit TNT gefüllte Bombe ohne Zünder vor dem Jenaer Theaterhaus aufgefunden wurde, durchsuchte die Polizei am 26.01.1998 Garagenzellen in der Nähe von Böhnhardts Wohnung in seiner Anwesenheit, weil das TLfV davon ausging, dass die Bombenattrappen dort hergestellt wurden. Da in den ersten zwei der drei in Frage kommenden Garagen nichts von Bedeutung gefunden wurde, erlaubte man Böhnhardt, mit dem Auto wegzufahren. Bei der Öffnung der dritten Garage fand die Polizei neben NS-Propagandamaterial auch funktionsfähige Bomben mit 1,4 kg Sprengstoff. Außerdem tauchte dort eine Liste („Garagenliste“) auf, die die Kontaktdaten bedeutender Neonazis aus ganz Deutschland enthielt. Auf dieser Liste Böhnhardts stand auch der Geraer Kamerad Mike Bär. Im NSU-Prozess wird auf ein Foto verwiesen, das Mike Bär Arm in Arm mit Beate Zschäpe zeigt.

Mike Bär trat Mitte der Neunziger der Kameradschaft Gera um Gordon Richter und Jörg Krautheim bei und zahlte regelmäßig Mitgliedsbeiträge. Die Führungsfiguren der Kameradschaft Gera gingen zum größten Teil in den Kreisverband der NPD Gera auf und organisierten das Nazifestival Rock für Deutschland, das auch Bär regelmäßig besuchte.

Frank Schwerdt, Malte Redeker (Europa-Chef der Hammerskins), André Kapke und Mike Bär (v.l.n.r.) beim Rock für Deutschland am 19.07.2008 in Gera
Frank Schwerdt, Malte Redeker (Europa-Chef der Hammerskins), André Kapke und Mike Bär (v.l.n.r.) beim Rock für Deutschland am 19.07.2008 in Gera [Foto: Recherche Gera]
Gordon Richter, Mike Bär und Denis Schoner am 10.07.2010 auf dem Rock für Deutschland in Gera
Gordon Richter, Mike Bär und Denis Schoner (v.l.n.r.) am 10.07.2010 auf dem Rock für Deutschland in Gera [Foto: Infothek Dessau]

Im Laufe des NSU-Prozesses wurde immer wieder betont, dass Bär neben Marcel Degner die wichtigste Personalie für Blood & Honour in Thüringen war.
Bär war nicht nur Gründungsmitglied der Thüringer Blood & Honour-Sektion, sondern hob 1997 auch deren Jugendorganisation White Youth aus der Wiege. Im Neonazi-Fanzine Der Kreuzritter berichtet ein Kamerad 1998:

„Die Idee für diese Bewegung hatte ein Kamerad aus Gera, Mike Bär […] Er sammelte einige Leute aus ganz Thüringen im Dezember 1997 zu unserem 1. Treffen und unterbreitete seine Ziele. Die lauteten: Junge Leute zu organisieren und sie an die ,älteren‘ Kameraden zu binden. Fähige zu unterstützen und Spinner auszusortieren.“ (1)

Nach dem Verbot von Blood & Honour im Jahr 2000 war Mike Bär die zweite Person neben Marcel Degner, die eigenständig gegen das Verbot klagte.

2004 war Bär einer der Helfer bei einem von André Kapke organisierten Konzert in Wichmar.

Seit 2004 betreibt Mike Bär die Firma Bauservice Bär (BSB), die bis heute mit mehreren Mitarbeitern besteht. Anfang 2021 war der BSB beispielsweise mit dem Ausbau eines Restaurants in der Fußgängerzone in der Geraer Schlossstraße am Kultur- und Kongresszentrum beauftragt.

Bauservice Bär (Mike Bär mittig) 2018.
Bauservice Bär (mittig Mike Bär) 2018 [Foto: Screenshot Facebook]

Mike Bär wohnt in der Ernst-Busse-Straße in Kauern.

Jens Fröhlich

Jens Fröhlich (*08.04.1978), der auch unter seinem Pseudonym „Asemit“ bekannt ist, ist ein bundesweit vernetzter Musiker und Geschäftsmann im Genre des National Socialist Black Metal (NSBM).

Jens Fröhlich Ender der Neunzigerjahre mit einem Shirt der Blood & Honor-Jugendorganisation White Youth
Jens Fröhlich Ender der Neunzigerjahre mit einem Shirt der Blood & Honour-Jugendorganisation White Youth [Foto: haskala]
Fröhlich wuchs in Gera auf und begann mit Raub, Diebstahl und Sachbeschädigung früh eine kleinkriminelle Karriere im Geraer Naziumfeld. Seine Strafakte wuchs seit Mitte der Neunziger kontinuierlich an und verzeichnet Landfriedensbruch, Diebstahl, besonders schweren Diebstahl, Körperverletzung, gefährliche Körperverletzung, Fahrerflucht, Bedrohung, Verleumdung, Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen und Volksverhetzung,

1996 gründete Fröhlich mit Marcel Niebuhr, David Nonn und Robert Wunderlich die Nazi-Oi!-Band Oigenik. Als man sich musikalisch zum Pagan-Metal umorientierte, wechselte man den Namen zu Eugenik. Ihr erstes Konzert spielten sie 1997 im Treffpunkt des Thüringer Heimatschutzes in Heilsberg. Nach der Gründung der Blood & Honour-Jugendorganisation White Youth in Gera durch Mike Bär, wurde Jens Fröhlich zu einem ihrer führenden Aktivisten. Auch die anderen Mitglieder der Band Eugenik gaben an, Mitglieder bei White Youth zu sein. Bis zum Ende der Neunziger erspielte sich Fröhlich mit Eugenik überregionale Bekanntheit. Bei einer Razzia des Proberaums 1998 fanden die Behörden eine Sammlung von Nazidevotionalien und Liedtexten, die zu einem §86a-Verfahren führten. Die vor allem als Liveband agierende Gruppe spielte mehrmals auf dem Geraer Festival Rock für Deutschland, gab Konzerte aber auch über die Landesgrenzen hinaus, beispielsweise 2008 in Wimmis in der Schweiz zusammen mit der Szenekultband Kraftschlag. 2009 traten Eugenik beim Wahlkampfauftakt der sächsischen NPD in Rothenburg auf.

David Nonn, Jens Fröhlich und Marcel Niebuhr (v.l.n.r.) als Eugenik live beim Rock für Deutschland am 19.07.2008 in Gera
David Nonn, Jens Fröhlich und Marcel Niebuhr (v.l.n.r.) als Eugenik live beim Rock für Deutschland am 19.07.2008 in Gera [Foto: Recherche Gera]

Zur 1998 um den Geraer NSBM-Musiker Denis Schoner formierten Band Totenburg kam Fröhlich 2004 als Sänger hinzu. Die Band spielte gemeinsam das Album Pestpogrom ein, dessen Cover eine mittelalterliche Judenverbrennung zeigt. Im gleichen Jahr folgten Konzerte sogar in Griechenland und Belgien.
2020 erschien Jenseits des Grabes, das jüngste Album der Band.

Jens "Asemit" Fröhlich mit der Band Totenburg bei einem Blood & Honour Konzert in Belgien 2004
Jens “Asemit” Fröhlich mit der Band Totenburg bei einem Blood & Honour Konzert in Belgien 2004 [Foto: Broschüre RechtsRock made in Thüringen]

Jens Fröhlich übernahm außerdem ab Mitte der 2000er gelegentlich die zweite Stimme bei der NS-Black-Metal-Band Absurd; gemeinsam mit Denis Schoner beteiligte er sich auch an deren Studioproduktionen. Absurd haben ihren Kultstatus in der Naziszene damit begründet, dass die Mitglieder Hendrik Möbus, Sebastian Schauseil (heute: Sebastian Förster) und Andreas K. 1993 gemeinschaftlich ihren Mitschüler Sandro Beyer ermordeten. Noch nach der Haft verunglimpfte Hendrik Möbus das Opfer als „unwertes Leben“ und stellte damit seine manifeste nationalsozialistische Ideologie zur Schau. Sebastian Förster (geb. Schauseil) nahm auch nach der Zeit im Gefängnis Musik mit Absurd auf, spielte später mit anderen NS-Black-Metal-Musikern in verschiedenen Bands und arbeitet heute im Schulamt Ostthüringen mit Sitz in Gera.

Nach dem Verbot von Blood & Honour und der White Youth beteiligte Fröhlich sich an der Fortführung der Bewegung aus dem Untergrund heraus. Zum in Thüringen produzierten Blood & Honour-Sampler Trotz Verbot nicht tot steuerten Fröhlichs Bands Eugenik und Totenburg jeweils Lieder bei. 2003 fanden deshalb unter Leitung des Thüringer Landeskriminalamts Hausdurchsuchungen wegen des Verdachts auf Fortführung von Blood & Honour-Strukturen unter anderem bei Fröhlich und Schoner statt.

Fröhlich und Totenburg-Bandkollege Schoner zählen zu den bundesweit umtriebigsten Personen in der NSBM-Szene. Neben ihren Musikprojekten verlegen und vertreiben beide vor allem NS-Black-Metal. Fröhlich betreibt das Label Ewiges Eis Records und den Methorn Versand, Schoner ist Inhaber des Labels Hammerbund.

Im Zusammenhang der Ermittlungen zum NSU geriet Fröhlich ins Visier der Polizei nachdem NSU-Freund und -Helfer André Eminger festgenommen wurde. Auf Emingers Mobiltelefon war die Nummer Fröhlichs gespeichert. Fröhlich gab bei einer Vernehmung an, regelmäßigen Kontakt zu Eminger gepflegt zu haben; Eminger kam öfter nach Gera, um Bestellungen von Fröhlich abzuholen. In der Zwickauer Wohnung des NSU-Kerntrios wurde außerdem ein gefälschter Reisepass auf den Namen „Michael Fröhlich“ gefunden. Die ermittelnden Beamten spekulierten, dass für den Pass entweder der Zwickauer Neonazi Eric Fröhlich oder Jens Fröhlich aus Gera eine Legende geliefert haben könnten.
Fröhlich ist Mitglied des rechten Motorradclubs Stahlpakt MC (Rang Sergeant at arms), die nach André Emingers Verhaftung eine Solidaritätswebsite aufsetzten und für Spenden warben.

Jens Fröhlich auf einer NPD-Demo am 09.04.2011 in Gera. 1. v.l.: Christian Kresse, 2. v.l.: Marcel Niebuhr (Eugenik), 1. v.r.: Beatrice Fischer
Jens Fröhlich (Mitte mit Aryans-Pullover) auf einer NPD-Demo am 09.04.2011 in Gera. 1. v.l.: Christian Kresse, 2. v.l.: Marcel Niebuhr (Eugenik), 1. v.r.: Beatrice Fischer [Foto: Recherche Gera]

Fröhlich ist in die elterliche Firma KARE Immobilien in Gera involviert, die mittlerweile über seinen Bruder Janos Fröhlich läuft. Janos ist ebenfalls Musiker im NSBM-Genre bei der weitaus unbekannteren Band Isolfur. Jens Fröhlich ist bei KARE als Hausmeister angestellt, tritt allerdings auch als Hausverwalter auf, wie etwa im Zuge der Berichterstattung zu Hochwassergeschädigten im ZDF Morgenmagazin zu sehen war.

Jens Fröhlich als Hochwasseropfer im ZDF Morgenmagazin 2013
Jens Fröhlich als Hochwasseropfer im ZDF Morgenmagazin 2013 [Bild: Twitter]

Fröhlich wohnt in der Dr.-Friedrich-Wolf-Straße im Geraer Zentrum.

Silvio Jordan

Cornelia Jacob, Jörg Brehski, Silvio Jordan (in Jacke der Blood&Honour Sektion Thüringen) 1997 bei einem Rechtsrock-Konzert
v.l.n.r.: Cornelia Jacob, Jörg Brehski, Silvio Jordan (in Jacke der Blood & Honour-Sektion Thüringen) bei einem Rechtsrock-Konzert 1997. [Foto: Archiv]

Silvio „Hotte“ Jordan (*07.11.1977) stieß Mitte der Neunzigerjahre zur rechten Skinheadszene in Gera. Er fuhr sehr rege durch das ganze Bundesgebiet zu Rechtsrockkonzerten und fiel dabei regelmäßig mit verbotenen Nazi-Symboliken oder durch die Beteiligung an Ausschreitungen auf. Schon 1995 war er an einem Angriff auf das damalige linke Projekt in der Hohen Straße in Gera beteiligt. 1996 wurde er in Bayern mit einer Triskele auf der Kleidung festgestellt, einer dreizackigen Abwandlung des Hakenkreuzes, die ein Jahr darauf als Symbol in den Schriftzug von Blood & Honour Deutschland integriert wurde. 1997 beteiligte sich Jordan an Krawallen im thüringischen Tautenhain und in Triptis, 1998 wurde er nach der Auflösung eines Konzertes in Brandenburg polizeilich aufgenommen.
Nach der Gründung von Blood & Honour Deutschland im Jahr 1997 wurde Jordan unter Marcel Degner der stellvertretende Führer der thüringischen Sektion. In dieser Funktion war er auch an bundesweiten Treffen des militanten Netzwerks beteiligt. Bei einem dieser Treffen 1998 kam er unter anderem mit dem gesamten UnterstützerInnenkreis des untergetauchten späteren NSU-Kerntrios von Blood & Honour Sachsen zusammen: Antje Probst, Jörg Winter, Andreas Graupner, Jan Werner und Thomas Starke. Jordans Thüringer Sektion sammelte außerdem mit Konzerten Spendengelder für die Untergetauchten. Diese Gelder waren laut Aussagen des Brandenburger V-Mann Carsten Szczepanski explizit für die Beschaffung von Waffen bestimmt.

Jordan blieb auch nach dem Blood & Honour-Verbot 2000 aktiver Neonazi in Gera. Die frühere Kameradschaft Gera und die Blood & Honour-Aktivisten sammelten sich mit der Zeit in der Geraer NPD und im Organisationskreis des ab Mitte der 2000er stetig anwachsenden Rechtsrockfestivals Rock für Deutschland. Jordan gehörte zu den Helfern des jährlichen Events und beteiligte sich u.a. am Aufbau. Noch 2013 war Jordan mit seinem früheren Blood & Honour-Kameraden Roberto Graf einer der Organisatoren des Festivals, das seit 2012 vor dem Geraer Hauptbahnhof stattfand.

Silvio "Hotte" Jordan (1. v.r.) und Roberto "Matzo" Graf (mit Sonnenbrille und Becher) auf dem Rock für Deutschland am 06.07.2013 in Gera
Silvio „Hotte“ Jordan (1. v.r.) und Roberto „Matzo“ Graf (daneben mit Sonnenbrille und Becher) auf dem Rock für Deutschland am 06.07.2013 in Gera [Foto: Recherche Gera]
2014 kandidierte Jordan auf Listenplatz 7 für die NPD zur Geraer Stadtratswahl. Er beteiligte sich in all den Jahren, bis mindestens 2018, an NPD-Aufmärschen in Gera, am Nazi-Gedenken zum Volkstrauertag und bringt zu Kneipenabenden in Totos Treff in Gera oder zu Grillabenden immer wieder auch die alten Blood & Honour-Kader zusammen. Hierzu brachte André Groth aus Apolda, der Ender der Neunziger bereits zur Thüringer Sektion zählte und auch nach dem Verbot die Organisation weiter unterstützte, 2016 den Apoldaer Rechtsrock-Händler Fabian Kellermann und den heutigen Unterstützer des verbotenen Blood & Honour-Netzwerks, Robert Hoyer, mit zu einem Treffen mit Silvio Jordan und weiteren älteren Kadern aus Gera.

Blood & Honour-Reunion 2016: Roberto Graf (oben 2.v.l.), André Groth (Apolda, oben 3.v.l.), Silvio Jordan (oben 4.v.l.) und Fabian Kellermann (Apolda, oben 2.v.r.), Raik Schumann (Legion Ost, unten 1.v.l.) und Robert Hoyer (Apolda, unten mittig)
Blood & Honour-Reunion 2016: Roberto Graf (oben 2. v.l.), André Groth (Apolda, oben 3. v.l.), Silvio Jordan (oben 4. v.l.) und Fabian Kellermann (Apolda, oben 2. v.r.), Raik Schumann (Legion Ost, unten 1. v.l.) und Robert Hoyer (Apolda, unten mittig) [Foto: Screenshot Facebook]
Silvio "Hotte" Jordan (1. v.l.) in Begleitung von Raik Schumann (1. v.r.) beim Rock gegen Überfremdung in Themar im Juli 2017. Im Hintergrund: Roberto "Matzo" Graf (li.) und Christian Kresse (re.) aus Gera
Silvio „Hotte“ Jordan (1. v.l.) in Begleitung von Raik Schumann (3. v.r.) beim Rock gegen Überfremdung in Themar im Juli 2017. Im Hintergrund: Roberto „Matzo“ Graf (li.) und Christian Kresse (re.) aus Gera [Foto: Lukas Beyer]

Jordan arbeitete vor einigen Jahren noch als selbstständiger Schrottsammler in Gera. Jordan wohnt in der Eiselstraße in Gera-Debschwitz.

Roberto Graf

Roberto Graf (1. v.l.) und Jens Fröhlich (1. v.r.) bei einer Demo des Thüringer Heimatschutzes und der NPD am 12.02.2000 in Gera
Roberto Graf (1. v.l.) und Jens Fröhlich (1. v.r.) bei einer Demo des Thüringer Heimatschutzes und der NPD am 12.02.2000 in Gera [Foto: Recherche Gera]

Der am 20.11.1970 in Saalfeld geborene Roberto „Matzo“ Graf war schon um die Wendezeit als Neonazi-Skinhead in Gera aktiv. Aufgrund zahlreicher Straftaten, darunter Diebstähle, Sachbeschädigungen, Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen und Landfriedensbruch musste er 1992 eine Haftstrafe antreten. Während dieser Zeit setzten ihn seine Geraer Kameraden auf eine Gefangenenliste „weißer Kriegsgefangener“ („White Prisoners of War“), die von der selbsterklärten US-amerikanischen Nachfolgeorganisation der NSDAP, der „NSDAP/AO“, in deren Zeitschrift The New Order veröffentlicht wurde. Auf dieser Liste stand zur gleichen Zeit auch der niedersächsische FAP-Funktionär Thorsten Heise, der wie Graf später Kader des militanten Blood & Honour-Netzwerks wurde.

1992_93 Graf The New Order
Roberto Graf auf der Liste “White P.O.W.’s” der amerikanischen NSDAP/AO in The New Order

Als sich nach Grafs Haftentlassung die Kameradschaft Gera organisierte, zählte er zu den Mitgliedern der ersten Stunde und zahlte regelmäßige Mitgliedsbeiträge. Die Liste über Beitragszahler wurde von Graf selbst verwaltet. 1997 kam Graf erneut in Haft, als er einen Neonazi-Kameraden im Krankenhaus in Bayern besuchte und bei einer Personenkontrolle festgestellt wurde, dass er per Haftbefehl aus Hessen gesucht wurde. Gegen Graf waren u.a. neue Verfahren wegen Betrugs, Erschleichens von Leistungen und Volksverhetzung hinzugekommen. Um die Jahrtausendwende zählte Graf dann ebenfalls zur thüringischen Blood & Honour-Sektion um den Sektionsleiter Marcel Degner aus Gera.
2003 eröffnete Roberto Graf in der Leipziger Straße den Neonaziladen Inside, der sich jedoch nur kurze Zeit hielt, nachdem Antifaschist*innen u.a. mit einer Kampagne und mehrfachem Glasbruch das Geschäft gestört hatten.

Graf beteiligte sich ununterbrochen an den Aktivitäten der Geraer Naziszene: Er unterstützte jahrelang die Organisation des Rock für Deutschland, nahm an unzähligen NPD-Veranstaltungen teil und besuchte regelmäßig die revisionistischen Gedenkveranstaltungen zum Volkstrauertag.

Roberto Graf, Gordon Richter und André Berghold beim Aufbau des Rock für Deutschland am 05.07.2013
Roberto Graf, Gordon Richter und André Berghold (v.l.n.r.) beim Aufbau des Rock für Deutschland am 05.07.2013 [Foto: Recherche Gera]
Roberto Graf (re. mit Sonnenbrille) bei einer Demo des III.Wegs am 1. Mai 2017 in Gera
Roberto Graf (re. mit Sonnenbrille) bei einer Demo des III.Wegs am 1. Mai 2017 in Gera [Foto: Sören Kohlhuber]

Zur Stadtratswahl 2014 kandidierte Graf in Gera für die NPD. 2017 fuhr er mit seinen alten Blood & Honour-Kameraden, darunter Silvio Jordan und Raik Schumann von Legion Ost, zum Rock gegen Überfremdung in Themar.

Roberto Graf (1. v.l.) und Christian Kresse (1. v.r.) beim Neonazi-Großfestival in Themar am 15.7.2017
Roberto Graf (1. v.l.) und Christian Kresse (1. v.r.) beim Neonazi-Großfestival Rock gegen Überfremdung in Themar am 15.07.2017 [Foto: Lukas Beyer]

Roberto Graf ist gelernter Maurer, arbeitete aber über die Jahre in verschiedensten Jobs. Er war u.a. beim Sicherheitsdienst von Großveranstaltungen eingesetzt.
Graf wohnte zuletzt in der Calvinstraße im Geraer Ostviertel.

Von der Kameradschaft Gera und B&H zum Rock für Deutschland

Die Kameradschaft Gera, die im Thüringer Heimatschutz organisiert war, und die von Gera aus koordinierte Thüringer Blood & Honour-Sektion waren der Brutkasten, aus dem der NSU mitsamt seinem UnterstützerInnen-Netz gediehen ist. Auch wenn nach der Selbstenttarnung des NSU 2011 das Thema „Naziterror“ für viele schnell wieder erledigt schien, hatte man in Gera beste Voraussetzungen, an die Traditionen anzuknüpfen. Durch die Erfahrungen, die man bei Blood & Honour im Organisieren von Konzerten und Großveranstaltungen gesammelt hatte, konnte man ein Festival wie das Rock für Deutschland erfolgreich etablieren und vergrößern. Die Geraer NPD, in der die meisten B&H– und Kameradschaftskader aufgingen, ging dabei geschickt eine Verbindung mit den gut vernetzten NS-Musikstrukturen aus Gera ein. 2012, nur ein halbes Jahr nach der Selbstenttarnung des NSU-Kerntrios bekannten sich die OrganisatorInnen des RfD im Sommer 2012 durch das an der Bühne angebrachte alte Banner zum Thüringer Heimatschutz – in dem Wissen, dass dieser Kameradschaftsverband mit zahlreichen Geraer Akteuren dem NSU-Terror als ideologischer und finanzieller Nährboden diente.

Die NPD und das Rock für Deutschland mögen, so scheint es zumindest momentan, Geschichte sein. Die Strukturen dahinter existieren weiter; die alten Kameraden geben derweil ihr Wissen, ihre Kontakte und ihre Ressourcen an die jüngeren weiter.

Das Thema NSU lässt sich nicht ad acta legen, die Beteiligten sind weiter unter uns.

Mit Unterstützung des Rechercheportals Jena-SHK.


(1) Der Kreuzritter, Nr. 2, 1998. S. 6. Zitiert nach: Martin Langebach/Jan Raabe: RechtsRock made in Thüringen. Erfurt 2013.

Ziemlich beste Freunde: Organisierte Neonazis und die AfD in Gera

Bei der Landtagswahl 2019 konnte die AfD in Thüringen 23,4 % der Stimmen auf sich vereinen. In der Wahl zum Geraer Stadtrat kam die Partei sogar auf 28,8 % und belegt damit mit 12 Personen die meisten Sitze im Stadtrat. Die Partei, die sich in Gera eines so hohen Zuspruchs erfreut, versucht den Eindruck von Bürgerlichkeit und Integrität zu erwecken.
Bereits in der Person des Geraer Bundestagsabgeordneten und Stadtratsmitglieds Stephan Brandner trägt die Geraer AfD ihr Bekenntnis zum völkisch-nationalistischen Höcke-Kurs des Landesverbandes. Doch auch darüber hinaus stellt sie den verlängerten Arm der Neonazis auf der Straße in die Parlamente hinein dar.
Wie die folgende Recherche zeigt, besteht die AfD in Gera im Kern aus Personen, die sich einerseits selbst seit Jahren in rechtsextremen Kreisen bewegen und sich andererseits bewusst mit Holocaustleugner*innen, Kameradschaftern und militanten und organisierten Neonazis umgeben. Der Erfolg der AfD ist das Ergebnis rechter Kontinuitäten in Gera.

Reinhard Etzrodt – ein Suchender unter Neonazis

Nach der überregional aufsehenerregenden Wahl des AfD-Manns Reinhard Etzrodt zum Geraer Stadtratsvorsitzenden wurde öffentlich, dass Etzrodt mit seiner Frau Bettina (ebenfalls AfD-Stadträtin in Gera) und seinem Sohn Martin Etzrodt (für die AfD im Kreistag des Saale-Holzland-Kreises) bereits 2015 auf einer von Neonazis organisierten und besuchten Thügida-Demo mitgelaufen ist.

Familie Etzrodt auf einer Thügida-Demo am 15.06.15
Familie Etzrodt bei Thügida in Gera am 15.06.2015. Hinten links im karierten Hemd: Martin Etzrodt, rechts danaben (blaues Hemd): Reinhard Etzrodt, rechts davon mit Sonnenbrille: Bettina Etzrodt [Foto: Recherche Gera]

In der Ostthüringer Zeitung (OTZ) erklärte Etzrodt daraufhin, „ein Suchender“ gewesen zu sein, als er auf der Thügida-Demo HolocaustleugnerInnen, AntisemitInnen und anderen kriminellen Nazis hinterhergelaufen ist. 2016 sei er dann eigenen Angaben zufolge in die AfD eingetreten. Daraus lässt sich unschwer schließen: Wer bei militanten Nazis sucht, findet – die AfD.
In der Zeit und der OTZ unterstrich Etzrodt zudem seine Loyalität zum rechtsextremen Höcke-Flügel der Partei. Wenn Etzrodt Glauben machen will, er habe erst 2015 „mit der Migrationspolitik der Bundesrepublik“ sein politisches Profil gefunden, versucht er zu täuschen. In der taz war bereits davon zu lesen, dass Bettina Etzrodt vor ihrer Zeit in der Geraer AfD in der Deutschen Sozialen Union (DSU) politisch engagiert war. Reinhard Etzrodt selbst stand schon Anfang der 1990er Jahre für die rechtspopulistische DSU auf der Wahlliste zum Geraer Stadtrat, beispielsweise 1994 auf Listenplatz 19.

Dass er die Nazidemo des Thügida-Bündnisses unwissenderweise aufgesucht hat, ist an anderer Stelle bereits als wenig glaubhaft analysiert worden. Vielmehr muss davon ausgegangen werden, dass der Familienausflug der Etzrodts zu Thügida aufgrund weltanschaulicher Schnittmengen unternommen wurde. Die Etzrodts waren nicht die einzigen ihrer Partei, die offenkundige Naziveranstaltungen wie Thügida-Demos besuchten.

Eike Voigtsberger – bundesweit unterwegs auf Nazidemos

Der Frauenarzt Dr. Eike Voigtsberger hat ebenfalls an einer Demo von Thügida teilgenommen, auch er schien dort allerdings politisch kein „Suchender“ mehr gewesen zu sein; die Demo fand im September 2018 statt, als Voigtsberger bereits zum AfD-Stadtverband gehörte. Angemeldet war diese Demo von der Geraerin Carry Fischer und dem kriminellen Greizer Neonazi und Ex-NPD-Stadtrat David Köckert. Die mehreren hundert Teilnehmenden waren das Who‘s who der Geraer und mitteldeutschen Naziszene. Beteiligt waren Anhänger der neonationalsozialistischen Partei Der III. Weg, NPD-Kader, rechtsextreme Fußballhooligans und Personen, die dem Umfeld des NSBM (National Socialist Black Metal) in Ostthüringen zugerechnet werden.

Voigtsberer bei der Thügida-Demo am 21.09.18 in Gera
Eike Voigtsberger (mittig mit Kappe) auf der Thügida-Demo am 21.09.2018 in Gera [Foto: Recherche Gera]

Zu einer Demonstration der Identitären Bewegung in Halle an der Saale, die unter Beteiligung der neonazistischen Brigade Halle, der Aryans und Bärgida stattfand, reiste Voigtsberger mit einigen Geraer Kameraden an.

Eike Voigtsberger bei einer Demonstration der identitären Bewegung am 20.07.19 in Halle
Eike Voigtsberger (vorne rechts) bei einer Demonstration der Identitären Bewegung am 20.07.2019 in Halle [Bild: Screenshot youtube]

Neben dem Shootingstar der Identitären, Martin Sellner, war auch der Hallenser Verschwörungsideologe und Antisemit Sven Liebich in der Menge und zog mit einem besonders geschmacklosen Beitrag die Aufmerksamkeit auf sich. Liebich trug ein Plakat mit der menschenverachtenden und NS-relativierenden Aufschrift „Merkel – länger an der Macht als Hitler. …und kein Stauffenberg in Sicht“. Der unverhohlenen Drohung, dass Merkels „Stauffenberg“ möglicherweise doch nicht weit ist, verlieh Liebich mit einer aufgesetzten Augenbinde Ausdruck. Ohne Neonaziberührungsängste gleich hinter ihm stand der Geraer Stadtrat Eike Voigtsberger mit seinen Parteifreunden.

Sven Liebich und Eike Voigtsberger bei einer Demonstration der identitären Bewegung am 20.07.19 in Halle
Antisemit und Verschwörungsideologe Sven Liebich aus Halle mit einem NS-relativierenden Plakat bei der Demo der Identitären Bewegung am 20.07.2019 in Halle. Hinten rechts mit Kappe: Eike Voigtsberger [Bild: Screenshot youtube]

Sein Amt als Stadtrat seit 2019 war Voigtsberger ganz offensichtlich kein Hindernis, auch weiterhin an Neonaziaufmärschen teilzunehmen: Im Februar 2020 lief Voigtsberger zusammen mit aus dem ganzen Bundesgebiet und überall aus Europa angereisten Rechtsextremen bei einer der größten Nazidemonstrationen Deutschlands in Dresden. Nur wenige Schritte vor ihm lief der gewalttätige Eisenacher Neonazi Kevin Noeske aus der Struktur des Nationalen Aufbau Eisenach.

Eike Voigtsberger am 15.02.20
Eike Voigtsberger (1. v.r.) am 15.02.2020 in Dresden. In der Reihe davor mit blauer Jeans und Handschuhen: der Eisenacher Neonazi Kevin Noeske mit Saskia und Chris Reus (v.r.n.l.) [Foto: Recherchenetzwerk Berlin]

Eike Voigtsberger und seine Kameraden haben sich bei diesen Aufmärschen von klar erkennbaren und gewalttätigen Nazis offensichtlich nicht fehl am Platz gefühlt.
Unter diesen Umständen ist es umso beunruhigender, dass Voigtsberger Jäger ist und selbst Waffen besitzt.

Voigtsberger verknüpft berufliches und politisches Wirken: In seinem Arbeitsumfeld macht Voigtsberger keinen Hehl aus seiner Gesinnung und stellt Patientinnen zufolge AfD-Propaganda offen zur Schau.
Eike Voigtsberger ist mit seiner Frauenarztpraxis in der Leipziger Straße 37 in Gera niedergelassen und einer von zwei Frauenärzten der Region, die feindiagnostische 3D-Screenings bei Schwangeren anbieten.

Dieter Laudenbach – er beschäftigt den Neonazi und AfD-Liebling Peter Pichl

Dieter Laudenbach musste sich jüngst Fragen zu seinem Wirken in der DDR gefallen lassen, weil Stasi-Dokumente auftauchten, die seine Zusammenarbeit mit dem DDR-Geheimdienst behaupteten. Schon kurz darauf war er, diesmal aufgrund seiner parteipolitischen Aktivitäten, erneut überregional im medialen Fokus.

Laudenbach gibt sich ähnlich bieder wie die meisten des AfD-Stadtverbandes. Aber auch er unterhält gute Kontakte zur Geraer Naziszene. Er beschäftigt (inoffiziell) den ehemaligen NPD-Stadtrat Peter Pichl als Mitarbeiter und bezahlt ihn „aus eigener Tasche“. Dieser Verdacht erhärtete sich schon vor einem entsprechenden Artikel im SPIEGEL dadurch, dass sich Pichl, der kein Stadtratsmandat mehr hat, bei Stadtratssitzungen offensichtlich in dem Bereich aufhalten kann, der der Öffentlichkeit nicht zugänglich ist. Belegbar ist das bei der Sitzung des Geraer Stadtrates am 24.09.2020, bei der Reinhard Etzrodt zum Vorsitzenden gewählt wurde und zur Ausübung seines neuen Amts nach vorn läuft, als Pichl von seinem Platz ins Bild kommt und ihm kollegial die Hand schüttelt.

Peter Pichl beglückt Reinhard Etzrodt zum Stadtratsvorsitz 1/2

Peter Pichl beglückt Reinhard Etzrodt zum Stadtratsvorsitz 2/2
Peter Pichl (1. v.r.) beglückwunscht Reinhard Etzrodt zum Stadtratsvorsitz bei der Stadtratssitzung am 24.09.2020 [Bild: Screenshot youtube]

Pichls Nazikarriere begann in den Neunzigern in der Kameradschaft Gera, die im Thüringer Heimatschutz organisiert war. Der THS versammelte unter seinem Banner Ende der Neunziger bis in die 2000er Jahre verschiedene Kameradschaften, unter anderem die Kameradschaft Gera, die maßgeblich von Jörg Krautheim, Gordon Richter und Martin Soa koordiniert wurde. Aus den Strukturen des Thüringer Heimatschutzes ist das für zehn Morde verantwortliche Terrornetzwerk des NSU hervorgegangen.
Bei einer Demonstration, die von der NPD zusammen mit Kadern des THS am 12.02.2000 in Gera durchgeführt wurde, waren neben Peter Pichl auch die NSU-Unterstützer Tino Brandt und André Kapke anwesend. Außerdem beteiligt waren, gut sichtbar, verschiedene lokale Gruppen der seit 2000 verbotenen Vereinigung Blood & Honour.

Peter Pichl auf einer NPD-THS-Demo am 12.02.2000 in Gera
Peter Pichl (Mitte) auf einer von der NPD und dem Thüringer Heimatschutz organisierten Demo am 12.02.2000 in Gera [Foto: Recherche Gera]
Peter Pichl mit dem Banner der Kameradschaft Gera auf einer Demo am 10.11.01
Peter Pichl (links am Banner) mit der Kameradschaft Gera auf einer Demo am 10.11.2001 in Gera [Foto: Recherche Gera]

Zusammen mit Gordon Richter war er seitdem kontinuierlich auf nahezu allen NPD-Veranstaltungen in Gera, unter anderem als langjähriger Mitorganisator eines der größten Nazifestivals Europas, dem Rock für Deutschland. Nur ein halbes Jahr nach der Selbstenttarnung des NSU-Kerntrios bekannten sich die Organisator*innen des RfD im Sommer 2012 durch ein an der Bühne angebrachtes Banner zum Thüringer Heimatschutz – in dem Wissen, dass dieser Kameradschaftsverband mit zahlreichen Geraer AkteurInnen dem NSU-Terror als ideologischer und finanzieller Nährboden diente.

Peter Pichl als Mitorganisator des Rock für Deutschland am 06.07.13
Peter Pichl (Mitte) als Mitorganisator des Rock für Deutschland in Gera am 06.07.2013. Links: André Berghold, rechts Gordon Richter [Foto: Recherche Gera]

Pichl saß ab 2014 für die NPD im Stadtrat, 2015 wurde er zum stellvertretenden Kreisverbandsvorsitzenden gewählt. Zur Zeit des letzten NPD-Verbotsverfahrens 2017 trat er aus der Partei aus. Schon 2015 nahm er an AfD-Kundgebungen teil. 2017 versuchte er Mitglied der Alternative für Deutschland zu werden, was ihm allerdings aufgrund seiner NPD-Vergangenheit qua Satzung verwehrt werden musste.
Beim Volkstrauertag am 19.11.2017 ließ Pichl sich jedoch einer Mitgliedschaft ungeachtet mit der AfD aus Gera, gleich neben dem Bundestagsabgeordneten Robby Schlund, ablichten.

Peter Pichl im Kreise der AfD beim Volkstrauertag am 19.11.17 in Gera.
Pichl (4. v.l.) im Kreise der AfD beim Volkstrauertag am 19.11.2017 vor dem Ostfriedhof in Gera. Rechts neben Pichl: MdB Robby Schlund [Bild: Screenshot facebook]
Robby Schlund und Peter Pichl im vertrauten Gespräch am Rande einer AfD-Demo am 16.10.20 in Gera
Peter Pichl (1. v.r.) und Robby Schlund (2. v.r.) im vertrauten Gespräch am Rande einer AfD-Demo am 16.10.2020 in Gera [Foto: Recherche Gera]
Pichl in trauter Runde beim AfD-Stammtisch im Brauhaus 1880 in Gera
Pichl (2. v.l.) in trauter Runde mit Reiko Pflug (1. v.l.) und Dieter Laudenbach (3. v.l.) beim AfD-Stammtisch am 17.01.2018 im Brauhaus 1880 in Gera [Bild: Screenshot facebook]

Pichls Präsenz im Kreise der AfD zeigt, dass er wohlgelitten ist. Er genießt Sympathien und Bekanntschaften im ganzen Stadtverband, seine Mitarbeit ist durchaus nicht lediglich mit seiner fachlichen Eignung zu begründen.

Pichl bei der Wahlparty der AfD nach der Stadtratswahl am 27.05.19
Pichl (mittig mit schwarzer Jacke) bei der Wahlparty der AfD nach der Stadtratswahl am 27.05.2019 in Laudenbachs Lokal Graf Zeppelin [Bild: Screenshot facebook]

Während Dieter Laudenbach behauptet, Peter Pichl habe „glaubhaft und endgültig mit seiner Vergangenheit abgeschlossen und sich von ihr distanziert“, reicht schon ein flüchtiger Blick auf Pichls Facebook-Profil, um sich vom Gegenteil zu überzeugen: Noch 2018 plauderte er unter einem seiner Beiträge mit dem NSU-Unterstützer und langjährigen Freund des Kerntrios André Kapke.

Facebookpost von Peter Pichl mit Kommentar von NSU-Unterstützer Kapke
Unter einem Facebook-Beitrag 2018 tauschen Pichl und NSU-Unterstützer André Kapke Ratschläge aus [Bild: Screenshot facebook]
Auszug von Pichls Freundesliste auf Facebook
Ausschnitt aus Pichls Freundesliste auf facebook. Personen aus dem Blood-&-Honour- und Combat-18-Umfeld, Nazi-Hooligans und mittendrin: die AfD Gera [Bild: Screenshots facebook]

Pichls Facebook-Freundesliste ist randvoll mit aktiven Nazis jeglicher Couleur – AntisemitInnen, Rechtsextreme aus dem Hooliganmilieu oder aus dem verbotenen Netzwerk Blood & Honour und dessen bewaffnetem Arm Combat 18. Unter ihnen: der Sänger der einflussreichen Blood-&-Honour-Band Legion Ost Daniel Stärz, der ehemalige NPD-Mitstreiter Erik Potyka, das Gründungsmitglied von Blood & Honour Gera und der spätere Zuständige für die Blood-&-Honour-Jugendorganisation White Youth in Thüringen Mike Bär, das Combat-18-Mitglied Daniel Steinmüller (unter dem Pseudonym Alexander Hofmann). Mittendrin: die ProtagonistInnen der Geraer AfD.

Robby Schlund – mit Holocaustleugner Christian Bärthel im Wahlkampf

Bei einem Wahlkampfstand mit dem jetzigen Bundestagsmitglied, dem Geraer Orthopäden und Sportarzt Robby Schlund, war auch der bundesweit bekannte Ronneburger Holocaustleugner und Reichsbürger Christian Bärthel beteiligt. Offensichtlich um Bärthels Profil und die damit verbundenen Image-Schwierigkeiten wissend, retuschierte Schlund Bärthel aus dem Foto, bevor er es bei Facebook postete. Christian Bärthel, der selbst nur ungern verleugnet wird, stellte die unverpixelte Version der Aufnahme kurzerhand auf eigene Faust ins Netz.

AfD-Infostand von Robby Schlund mit Holocaustleugner Christian Bärthel
AfD-Infostand von Robby Schlund (3. v.l.) mit Holocaustleugner Christian Bärthel (2. v.l.) 2018 [Bild: Screenshot facebook]

Christian Bärthel gehört zum festen und bundesweit agierenden Unterstützerkreis der mehrfach verurteilten Holocaustleugnerin Ursula Haverbeck. Immer wieder reiste er in der Vergangenheit zu Demonstrationen, die zur Solidarität mit Haverbeck aufriefen. Bärthel selbst ist als notorischer Holocaustleugner und bekennender Reichsbürger bereits wegen Volksverhetzung verurteilt; bei einem seiner Gerichtsprozesse 2007 erhielt er wiederum Beistand von Haverbeck, die seinetwegen nach Gera reiste.

Bärthel bei einem Gerichtsprozess 2007 unterstützt von Ursula Haverbeck
Christian Bärthel (ganz vorn, helles Hemd) wird von Holocaustleugnerin Haverbeck (2. v.l.) bei einem Gerichtsprozess 2007 in Gera unterstützt [Bild: Screenshot facebook]

Bärthels Beteiligung bei dem Wahlstand der AfD ist kein Unfall und kein Zufall; auch 2019 ist er inmitten der AfD beim Volkstrauertag in Gera gewesen.

Christian Bärthel im Kreise der AfD beim Volkstrauertag 2019 in Gera
Christian Bärthel (8. v.l., nach rechts blickend) im Kreise der AfD beim Volkstrauertag am 17.11.2019 in Gera. 5. v.r.: MdL Wolfgang Lauerwald. 6. v.r.: Eike Voigtsberger [Bild: Screenshot facebook]
Stephan Brandner, Eike Voigtsberger und Christian Bärthel bei einer Anti-Corona-Demo am 16.05.20 in Gera
Stephan Brandner (Mitte links, kariertes Hemd), Eike Voigtsberger (Mitte mit Kappe) und Christian Bärthel (1. v.r.) bei einer Anti-Corona-Demo am 16.05.2020 in Gera. [Foto: Recherche Gera]

Robby Schlund ist zuletzt bei der von Rechtsextremen überlaufenen Anti-Corona-Demo in Berlin am 29.08.2020 dadurch aufgefallen, dass er mit anderen Demoteilnehmer*innen Plakate hielt, auf denen Wissenschaftler*innen, Politiker*innen und Journalist*innen in Sträflingskleidung und mit dem Urteilsspruch „Schuldig“ versehen abgebildet waren. Daraufhin hat die Thüringer Ärztekammer ein berufsrechtliches Ermittlungsverfahren gegen ihn eingeleitet.

Robby Schlund betreibt seine Arztpraxis für Orthopädie und Sportmedizin in der Jägerstraße 1 in Gera.

Reiko Pflug – Wolfgang Lauerwalds Mitarbeiter schon 2014 bei NPD-Kundgebung

Reiko Pflug, der 2016 in die Partei eintrat, ist derzeit der Wahlkreismitarbeiter des MdL Wolfgang Lauerwald im Wahlkreisbüro in der Reichsstraße 52 in Gera. Wie den Großteil seiner Parteikameraden zog es auch Pflug bereits vor seinem Eintritt zu den Neonazis auf die Straße. 2014 besuchte er eine Infokundgebung der NPD, bei der im Beisein einiger UnterstützerInnen des NPD Kreisverbands Gera Gordon Richter und der Eisenacher NPD-Stadtrat Patrick Wieschke Reden gehalten haben.

Reiko Pflug hört aufmerksam bei einer NPD-Kundgebung am 13.08.14 in Gera zu
Reiko Pflug (Mitte, weißes Shirt) hört aufmerksam bei einer NPD-Kundgebung am 13.08.2014 in Gera zu [Foto: Recherche Gera]
NPD Kundgebung am 13.08.14 in Gera
Die Veranstaltung, die Reiko Pflugs Interesse auf sich zog: NPD-Kundgebung am 13.08.2014 in Gera. Mittig: NPD-Unterstützerin Jacqueline Möbes, links unterm Schirm: Gordon Richter [Foto: Homepage NPD Thüringen]

Wolfgang Lauerwald selbst trat wie auch sein AfD-Mitstreiter Eike Voigtsberger im Rahmen einer Demonstration der rechtsextremen Identitären Bewegung am 20.07.2019 in Halle in Erscheinung.

Wolfgang Lauerwald bei einer Demonstration der Identitären Bewegung in Halle am 20.07.19
Wolfgang Lauerwald (links mit Hut und Brille) bei einer Demonstration der Identitären Bewegung in Halle am 20.07.2019 [Foto: Sören Kohlhuber]

Lauerwald teilte sich bei einer AfD-Demonstration am 16.10.2020 in Gera mit dem Zeulenrodaer Frank Haußner die Bühne, dessen antisemitischer und völkisch-rassistischer Rede Lauerwald Beifall klatschte und für die er sich herzlich bedankte.

Holger Wagner – der Fotograf vom Dienst bei Thügida

Der eifrige AfD-Unterstützer Holger Wagner, dessen Aufgabe unter anderem die fotografische Dokumentation von Parteiveranstaltungen ist, betreut auch regelmäßig AfD-Infostände in Geras Innenstadt. Wagner steht seinen Parteifreunden in nichts nach, auch er beteiligte sich bereits 2015 an einer rechtsextremen Thügida-Demonstration.

Holger Wagner bei einer Thügida-Demo am 19.09.15 in Gera
Holger Wagner (1. v.l.) bei einer Thügida-Demonstration am 19.09.2015 in Gera [Foto: Recherche Gera]

Besonders online ist Wagner aktiv und mitteilungsfreudig für die Sache der AfD unterwegs. In einem Facebook-Post bekundet er beispielsweise Unterstützung für die Holocaustleugnerin Ursula Haverbeck.

Holger Wagner teilt Inhalte der Holocaustleugnerin Ursula Haverbeck
Holger Wagner teilt Inhalte der Holocaustleugnerin Ursula Haverbeck [Bild: Screenshot facebook]
Volkstrauertag 2020: AfD, Holocaustleugner und militante Neonazis Hand in Hand
Christian Bärthel, Beatrice Fischer und Frank Haußner am Kopf der Versammlung zum geschichtsrevisionistischen Volkstrauertag am 15.11.20
Beatrice Fischer (1. v.l.), Christian Bärthel (2. v.l.) und Frank Haußner (3. v.l.) an der Spitze der Versammlung zum geschichtsrevisionistischen Volkstrauertag am 15.11.2020 [Foto: Recherche Gera]

Wie enorm das Interesse der Geraer AfD für den Reichsbürger und Holocaustleugner Christian Bärthel und dessen Umfeld ist, ließ sich am 15.11.2020 beim Volkstrauertag in Gera studieren. Das völkische Gedenken leiteten Bärthel mit Antisemit Frank Haußner und Haverbeck-Unterstützerin Beatrice Fischer am Kopf der Versammlung an. Bärthel verwob in seiner Rede Geschichtsrevisionismus mit Bibelpassagen, die er immer wieder mit antisemitischen Codes („Kräfte der Hochfinanz“, „internationalistische Cliquen“, „globalistische Eliten“) unterfütterte. Während die VeranstalterInnen sprachen und sangen, lauschten und sangen mit ihnen MdL Dieter Laudenbach und Stadtrat Eike Voigtsberger umgeben von jungen und alten Neonazis, die sich in den vorangegangen Jahren an diesem Datum noch dem Aufruf des NPD-Manns Gordon Richter angeschlossen hatten. So vollzieht die Geraer AfD einmal mehr den Schulterschluss mit offen auftretenden Nazistrukturen.

Dieter Laudenbach auf einer Versammlung mit dem Holocaustleugner Christian Bärthel am 15.11.20 in Gera
MdL Dieter Laudenbach (3. v.l. mit Brille und Maske unterm Kinn) folgt andächtig der antisemitischen und revisionistischen Rede Bärthels (1. v.r.) am 15.11.2020 in Gera [Foto: Recherche Gera]
Eike Voigtsberger bei der Versammlung zum geschichtsrevisionistischen Volkstrauertag am 15.11.20
Eike Voigtsberger (1. v.l., trägt einen Mundschutz in den Farben schwarz-weiß-rot unterm Kinn) neben Fritz Patzelt (2. v.l.) bei der Versammlung zum geschichtsrevisionistischen Volkstrauertag am 15.11.2020 [Foto: Recherche Gera]

Dass in der Vergangenheit Veröffentlichungen zur Verstrickung der AfD in die militante und organisierte Naziszene der Partei eher genutzt als geschadet haben, ist ein Zeichen dafür, dass sie nicht trotz, sondern gerade wegen ihrer Nähe zu Neonazis unterstützt und gewählt wird. Dennoch ist die Dokumentation dieser Verbindungen immens wichtig, da es immer noch Menschen gibt, die glauben, die AfD könne durch Einbinden in die politische Praxis „entzaubert“ werden.

Stattdessen ist klar: Mit der AfD sitzen Personen in den Parlamenten, die nicht einmal mehr einen Hehl aus ihrer Wesensverwandtschaft mit faschistischer Ideologie und deren JüngerInnen auf der Straße machen müssen. Mehr noch: die VertreterInnen der AfD lassen keine Gelegenheit aus, unter Beweis zu stellen, wie ernst es ihnen mit ihren Kontakten ist. Personell und organisatorisch sind die Überschneidungen so signifikant, dass eine Unterscheidung zwischen AfD und militanten Nazis unmöglich gemacht wird. Es handelt sich insbesondere bei der AfD in Gera nicht um bedauerliche Einzelphänomene, sondern durchzieht die Partei strukturell.
Eine gemeinsame Politik, und sei sie auch mit einer pragmatischen Notwendigkeit kommunaler Verhältnisse begründet, bedeutet zwangsläufig gemeinsame Sache mit Rechtsextremen zu machen und ihnen Gehör und Mitwirkung zu verschaffen.


Mit Unterstützung des Rechercheportals Jena-SHK.